top of page

Nichts vor und doch so viel zu tun

Autorenbild: Julia MeyerJulia Meyer

Als ich anfing, mein Leben Schritt für Schritt zu entschleunigen und auf die 4-Tage-Woche umstieg, dachte ich, dass ich sooo viel Zeit für alles mögliche haben würde. Dass ich endlich viel mehr lesen würde, mehr malen würde, vielleicht noch ein anderes Hobby anfangen würde, Berlins unentdeckte Ecken entdecken würde ... die Liste in meinem Kopf war seeehr lang.

Frau, die erschöpft auf dem Bett liegt

Doch als ich dann tatsächlich meinen ersten freien Freitag hatte und schon so viele Freizeitpläne gemacht hatte, fühlte ich mich irgendwie kraft- und energielos. Aber mich dem hingeben, war keine Option, denn ich hatte mir all diese tollen Dinge vorgenommen und schließlich musste ich ja diesen neu gewonnenen freien Tag auch nutzten. Also zog ich meine Pläne durch.


In der darauffolgenden Woche ging das Spiel von vorne los. Und als ich in der dritten Woche ankam und am Freitag aufstand, hatte ich gerade noch so die Kraft, vom Bett zum Sofa zu wechseln. Ich verstand gar nicht, was los war. Ich war sogar so fertig, dass ich meine gesamten Pläne für das Wochenende absagte und einfach nur schlief, auf der Couch chillte und Netflix schaute. Ich dachte, es läge an der Fatigue und meiner MS und dachte mir nicht viel mehr dabei, sondern plante schon meinen nächsten Freitag, den ich dann so RICHTIG auskosten würde.


Doch der nächste Freitag kam und ich war wieder so unbeschreiblich müde, fertig und schlapp. Also schaute ich genauer hin und fragte mich, was da los sei. Und schließlich wurde mir klar: Ich war einfach fertig. Ich hatte in den letzten Jahren funktioniert und alle meine Pläne und To-dos durchgezogen. Fünf Tage die Woche arbeiten, abends noch mit Freund:innen treffen, am Wochenende irgendwo hinfahren, auf Partys gehen, sich zum Brunchen treffen … Die zwei Tage vom Wochenende mussten schließlich genutzt werden, bevor der nächste Montag kam.


Als ich mir dann einen freien Tag mehr schenkte, hatte ich auf einmal mehr Zeit, die ich natürlich auch sofort mit allen möglichen (schönen) Plänen füllen wollte. Doch nicht nur ich hatte mehr Freizeit gewonnen, auch mein Körper. Und der hatte einen etwas anderen Plan als ich: ausruhen.

Mein Körper hatte die letzten Jahre immer mitfunktioniert, hatte die ganzen To-do-Listen in meinem Kopf laufend mitgeführt, den wenigen Schlaf irgendwie versucht, auszuhalten und vieles mehr. Doch jetzt hatte ich auch ihm einen Tag Ruhe geschenkt und er nahm sich schließlich statt mehr Freizeitstress genau das, was ich wirklich brauchte: Ruhe.


Es ist doch verrückt, dass wir irgendwie immer das Bedürfnis haben, unsere freie Zeit auch möglichst vollzustopfen und auf eine andere Weise effektiv zu nutzen. Anstatt einfach mal zu chillen und nichts zu tun, rennen wir weiter vor uns selbst davon.


Als ich letztens mit zwei Freundinnen sprach, meinten sie sogar, dass sie nicht chillen können, wenn sie unter der Woche abends mal keine Pläne haben. Denn dann wartet daheim die Wäsche, der Hausputz, die Abrechnung und was weiß ich nicht noch alles.

Natürlich weiß ich, dass wir alle viel zu tun und erledigen haben, dass unsere To-do-Listen gefühlt nie kürzer werden und dass wir ja auch nicht nur arbeiten, sondern auch unser Leben auskosten wollen. Doch irgendwie haben wir bei diesem ganzen beruflichen und privaten Stress vergessen, einfach mal nichts zu tun. Die meisten machen das wenn überhaupt im Urlaub und weil es da so viel Neues zu entdecken gibt, haben viele das Gefühl, einen Urlaub vom Urlaub zu brauchen. Das ist doch verrückt? Selbst wenn wir mal nichts vorhaben, haben wir so viel zu tun.


Es scheint, als seien wir irgendwo mal falsch abgebogen. Als hätte der Leistungsgedanke sich in jeder Ecke unsere Lebens und Alltages eingenistet. Doch das Leben besteht nicht nur aus Machen und Tun – leben bedeutet auch sein. Aber dafür scheint heutzutage kaum einer mehr Zeit zu haben.

Doch was können wir tun? Wie können wir uns in diesem Leben, das bereits so viel von uns fordert, Freiräume schaufeln – Zeit zum Aufatmen, Zeit zum Sein?



Bild in Italien von Olivenbäumen und Hängematten im Wind

Meine Lösung mag zunächst etwas komisch, unsexy und ungewohnt klingen, doch sie hilft mir ungemein, meinen Alltag zu entschleunigen: Ich blockiere mir jeden Tag mindestens 5 Minuten in meinem Kalender, in denen ich nichts vorhabe. Wirklich NICHTS. Und dieses Zeitfenster ist auch nicht verhandelbar.


Diese Zeit heißt bei mir „Me-Time“. Und je nach Länge mache ich manchmal 5 Minuten wirklich nichts und schaue zum Beispiel einfach nur aus dem Fenster, um meinem Gehirn, Körper und mir selbst eine komplette Aus-Zeit zu schenken. Oder ich mache einen Spaziergang, mache mir einen Tee oder Kaffee, lege mich kurz hin, schreibe Tagebuch …


Es ist letztendlich egal, was du in deiner You-Time tust. Das Wichtigste ist, dass du dich zu Beginn immer fragst: „Was brauche ich gerade wirklich?“ Spüre in dich hinein und frage dich, was dir gerade gut tun würde und dann tu genau das. Das brauchst du vor niemandem zu rechtfertigen. Solange es dir in dem Moment guttut und abschalten lässt, ist es ganz egal, was du tust.

Und ja: Du könntest auch dieses Zeitfenster auch wieder für etwas „Produktives“ nutzen. Doch vertrau mir: Diese scheinbar „unproduktive“ Zeit ist letztendlich das „Produktivste“, das du für dich tun kannst. Und was ich damit meine, kannst du nur herausfinden, wenn du es ausprobierst :) …

Unterschrift: Deine Julia

53 Ansichten0 Kommentare

Comments


bottom of page